Variationen Es-Dur, op. 44 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Variationen Es-Dur, op. 44

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Erläuterungen

Beethovens „Variationen über (k)ein eigenes Thema“, op. 44

Beethovens Zeitgenossen hatten beim Genuss seiner Variationen einen entscheidenden Vorteil gegenüber uns Nachgeborenen: Sie kannten alle populären Melodien, die er als Themen verwendete, und deren Texte. In Beethovens Händelvariationen von 1796 verstanden die Zeitgenossen sofort die Anspielung auf den damals noch siegreichen Erzherzog Carl, weil sie mit der Melodie noch nicht Tochter Zion assoziierten, sondern Händels Chorsatz See the conqu’ring hero comes. Bei den Variationen über Mozartsche Opernthemen haben selbst wir noch Melodie und Text im Ohr. Das gilt aber nicht, wenn es um Beethovens Zeitgenossen Salieri, Dittersdorf oder Weigl geht, deren „Gassenhauer“ er variierend verarbeitete. Was er an Anspielungen aus ihren Texten aufgriff und in seine Variationen mit aufnahm, bleibt uns im Allgemeinen verborgen. Das beste Beispiel dafür sind die Variationen Opus 44 für Klaviertrio.

Nicht einmal gestandene Beethoven-Forscher erkannten in dem Thema ein Melodiezitat: Im Beethoven-Werkverzeichnis wird das Opus als „Variationen über ein eigenes Thema“ geführt. Erst 1991 wies Sieghard Brandenburg darauf hin, dass die Melodie aus Dittersdorfs Singspiel Das rote Käppchen stammt. Zum Verständnis der Variationen ist aber der Text dieser Arie unabdingbar, sonst könnte man versucht sein, Beethovensche Scherze für tiefen Ernst zu halten.

Der eifersüchtige Hans in Das rote Käppchen

Karl Ditters von Dittersdorf war mit seinen Singspielen so erfolgreich, dass sie in Deutschland und Österreich um 1800 buchstäblich Jeder kannte, auch die Mainzer. Sein Doktor und Apotheker war das erklärte Lieblingsstück des Publikums im Mainzer Nationaltheater auf der großen Bleiche, und auch Das rote Käppchen kam beim hiesigen Publikum schon bald nach der Uraufführung im Mai 1790 in Breslau bestens an. Der Schottverlag brachte 1792 den ersten Klavierauszug des Werkes heraus, zudem eine Bearbeitung für zwei Flöten und Cello von dem Mainzer Hofoboisten und erfahrenen Arrangeur Franz Heinrich Ehrenfried. Schon diese beiden Notendrucke zeugen von der Popularität des Roten Käppchens am Rhein, was sich stromabwärts für Bonn ebenso belegen lässt.

Beethoven kannte also sein Rotes Käppchen und den Dorfschulzen Hans Christoph Nitsche, der mit der koketten Hedwig verheiratet ist. Der Ehemann leidet so sehr unter den Eskapaden seiner Frau, dass er beschließt, sich scheiden zu lassen:

Ja, ich muss mich von ihr scheiden,
Das ist länger nicht zu leiden,
Sonst bringt mich die Galle um.
Noch in meinen alten Tagen
Mich mit einer Frau zu plagen,
O Hans Christoph, das war dumm!

In seiner hilflosen Eifersucht gibt Hans ein Bild der Lächerlichkeit ab, was Dittersdorf in seiner Arie durch das einfachste aller Klangmittel unterstrichen hat: durch ein Unisono, also den harmonielosen Einklang. Statt eines wutschnaubenden Agitato singt Hans ein Andante aus lauter gebrochenen Dreiklängen in Es-Dur, im Unisono mit dem Orchester, gleichsam als Sinnbild für seine hilflose Wut. Dabei liegt die Pointe der Melodie in der letzten Zeile : „O Hans Christoph … das war dumm“. Zunächst kommt die einstimmige Melodie auf einer Fermate bedeutungsschwer zum Halt, dann setzt plötzlich ein Sextakkord ein, also zum ersten Mal Mehrstimmigkeit, wozu der alte Brummbär eine simple Kadenz singt: „O Hans Christoph … das war dumm“. Diese Floskel kehrt im Lauf des Strophenliedes noch häufig wieder, besonders am Ende, nachdem Hans beschlossen hat, mit der Scheidung ernst zu machen und zum Pfarrer zu gehen:
Doch ich will zum Pfarrer gehen,
Und die Tür blieb offenstehen?

Diesen Anflug von Wutausbruch hat Dittersdorf im Allegro vertont, bevor noch einmal der lächerliche Refrain wiederkehrt:
O Hans Christoph, das war dumm!

Beethovens Variationen Opus 44

Wie schon gesagt: Der Text, die Melodie und die ganze Szene waren den Zeitgenossen geläufig, denn sie hatten die Nr. 14 aus dem Roten Käppchen im Einzeldruck des Mainzer Schottverlags auf ihrem Klavier liegen. Beethoven setzte diese Kenntnis beim Publikum voraus, denn er hat das Thema originalgetreu übernommen: als simple gebrochene Dreiklänge im Unisono, die nach einer Fermate plötzlich in einen Mehrklang münden. Diese Stelle wird von den Interpreten meist geheimnisvoll und lyrisch ausgedeutet. In Wirklichkeit müsste man hier die Pointe der Arie auch ohne Worte so akzentuieren, dass die ganze Komik herauskommt: „O Hans Christoph … das war dumm!“

Es versteht sich von selbst, dass bei einem so ironischen Thema auch die 14 Variationen nicht durchgängig ernst gemeint sein können. Beethoven hat sich einen Scherz daraus gemacht, in jeder Variation den Refrain noch um eine Spur kesser zu akzentuieren. Die Variationen als Ganzes machen den Eindruck, als habe er den Verlauf der Arie nachzeichnen wollen: den Trottel Hans, wie er sich allmählich in seine Eifersucht hineinsteigert, dann in ein es-Moll-Lamento verfällt. Gleich darauf wandert sein Thema in die linke Hand des Klaviers, während in der rechten Hand eine muntere Sopran-Kantilene auftaucht, die den Bass zu verspotten scheint: seine Ehefrau Hedwig. Auch in den folgenden Variationen hat Beethoven Versatzstücke aus Dittersdorfs Arie und dem ganzen Singspiel verwendet, um gleichsam eine komische Szene zu zeichnen. Da sage nur einer, Beethoven sei kein typischer Rheinländer gewesen. Manche seiner Variationen hat er keineswegs als „absolute Musik“ entworfen, sondern eher schon als Karnevalsscherz.